Hunde, die im Schatten stehen

Hallo Ihr Lieben,

 

eigentlich wollte ich Euch heute mal einen Einblick geben, welche Irrungen und Wirrungen diese verrückte Corona Situation in unserem Tierheimalltag so mit sich gebracht hat, aber tatsächlich brennt mir ein ganz anderes Thema unter den Krallen.

 

Mein persönliches Corona Update hole ich nach … versprochen, aber jetzt nehme ich mal in Angriff, was ich schon lange versprochen habe: ein ganzer Beitrag über Hunde.

 

Das wird gar nicht so nett, wie man jetzt meinen könnte, denn die rosarote Traumwelt werde ich Euch nicht zeigen können.

 

Mir schwirren so viele Gedanken durch meinen zahnlosen aber deswegen nicht weniger hübschen Katzenkopf, dass ich gar nicht genau weiß, wo und wie ich beginnen soll.

 

 

Wer von Euch hat nicht auch schon die Begriffe Schatten- oder Höllenhunde gehört? So werden Hunde genannt, die auffälliges oder auch verletzendes Verhalten gezeigt haben oder zeigen und für die ein Tierheim auf einmal gut genug oder – netter gesagt – der letzte Ausweg ist. 

Auf einen – nennen wir es – unauffälligen Hund mit guten Vermittlungschancen, der über uns ein neues Zuhause finden soll, kommen mindestens fünf Anfragen für Hunde, die dringend weg müssen, weil sie beißen, sich nicht mehr spazieren führen lassen, andere Hunde angreifen, ihre Besitzer Angst vor ihnen haben und der Situation nicht gewachsen sind.

Kontaktiert uns jedoch jemand, der einen Hund sucht, beginnen die Gespräche meistens so: „Wir suchen einen familienfreundlichen Hund. Er sollte stubenrein sein, alleine bleiben können, Katzen mögen und auch schon was gelernt haben.“ … oder anders gesagt: es wird ein „Rundum-sorglos-Paket“ gewünscht.

Nicht nur, dass unser Angebot nicht zu solchen Nachfragen passt … vielmehr drängt sich doch die Frage auf, ob dieser Wunsch nach einer rosaroten Traumwelt mit Hund nicht zum Teil sogar die Wurzel allen Übels ist … ein Kreislauf, der an Energie gewinnt, weil er genährt wird durch falsche Vorstellungen, fehlende Selbstreflektion und ein Füllhorn an Möglichkeiten, sich einen Hund anzuschaffen, der mit eben diesen gewünschten Attributen auf Kleinanzeigenportalen oder Social Media Kanälen vermarktet wird.


Wo da der Kreislauf ist, fragt Ihr Euch? Nun, wenn der süße Welpe, der umständehalber mit 8 Wochen schon wieder abgeben werden muss und über Kleinanzeigen angeboten wird als Wunschhund in seine Familie kommt oder Hunde die, ohne die Möglichkeit sie überhaupt kennenzulernen, über Grenzen hinweg durch Social Media zum Traumhund stilisiert und bestellt werden, dauert es meistens nicht lang, ehe sich der rosaroten Mensch-Hund-Beziehung grau oder sogar schwarz beimischt.


An genau der Stelle trennt sich die Spreu vom Weizen. Dann gibt es die Menschen, die einsehen, dass Wunsch und Realität sich nur vereinen lassen, wenn man den Problemen ins Auge sieht, sich fachkundige Hilfe holt und an den Problemen arbeitet. Und es gibt diejenigen, die stoisch an ihrem Wunschdenken festhalten, bis die Probleme unlösbar werden. Schlimmstenfalls werden solche Hunde dann über fragwürdige Vermarktungswege zum Wanderpokal und der Weg bis „jetzt geht nur noch Tierheim“ nimmt ein paar Umwege.


Nicht selten wird die Schuld dann auf den Hund geschoben und ist dieser erstmal „gut vermittelt“ steht schon der Nachfolger auf der Matte, der nun die übersteigerte Erwartungshaltung erfüllen soll.


So, und nun frage ich Euch: wo landen sie alle am Ende? Und wer will sie dann noch? So entstehen Schattenhunde…


Ach, kommt Leute, ich höre Euch förmlich aufschreien: „Paula, das ist doch ein tiefschwarzes Szenario, das Du da kreierst.“


Ja, ich weiß auch, dass es viele Hundehalter gibt, die sich sehr mit der Anschaffung auseinander setzen … die wissen, welche Probleme sie sich zumuten können und welche nicht … die die Bedürfnisse von Hunden kennen und sie lesen können … das weiß ich doch … und zum Glück ist das so, denn sonst wären wir schon lange kein Hotel für temporär hilfebedürftige Tiere mehr sondern wir hätten ein Hundehaus voller Hunde, die keine Chance mehr auf ein Zuhause haben.


Diese Hunde, die nennen wir es unüberlegt und ungeschickt angeschafft werden, haben zunächst alle Wege offen. Sie brauchen ein Zuhause, dass ihre Eigenheiten und Bedürfnisse erkennt und ihnen den richtigen Weg zeigt.

Erinnert Ihr Euch an Paco? Der süße, knuddelige Chihuahua-Mix saß zwei Jahre bei uns im Tierheim. Ein hochintelligenter Hund mit einem zu gesunden Selbstbewusstsein in einem Zuhause, in dem er sich schon im jungen Alter gegen das Niedlichsein und den Spielzeugkuschelcharakter seines Daseins massiv auflehnte und so zu uns kam. Auch Paco war mal ein Welpe, dem die richtigen Regeln für ein harmonisches Miteinander, hätten beigebracht werden müssen. Die Weichen richtig zu stellen, bedeutet Zufriedenheit für Mensch und Hund.

 

Paco hatte aufgrund seines Aussehens viele Anfragen. Uns wurde zugehört, wenn wir die Problematik erklärt haben, es wurde genickt und die eigene Hundeerfahrung heraus gestellt und der Vermittlungsansatz endete dann mit der Frage der Interessenten „Aber ins Bett darf der süße Schatz doch trotzdem, oder?“

Nach zwei Jahren – Paco hatte zu dem Zeitpunkt sein halbes Leben bei uns verbracht – kam endlich jemand, der Paco´s Situation und auch seine Not verstanden hat. Denn das darf man auch nie vergessen: die Rolle auszufüllen, in die sie hinein gedrängt werden, bedeutet Stress für Hunde.

 

Paco lebt nun schon über 1,5 Jahre in einem tollen Zuhause mit einem kleinen Rudel. Er darf nun das für ihn passende entspannte Hundeleben führen.

Auch Mailo war fast ein Jahr bei uns. Er kam mit einem ernsten Beißvorfall zu uns. Der Vorfall ereignete sich in einem neuen, unerfahrenen Zuhause … der Grundstock dafür muss jedoch eher gelegt worden sein. Mailo war ein zutiefst unsicherer Hund, der offensichtlich nicht die Sicherheit durch seinen Menschen erfahren hat, sondern die Erfahrung gemacht hat: nach vorne ist der Weg raus aus dieser Situation. Zu oft haben wir von potentiellen Interessenten gehört: „Oh, der arme Schatz … was hat er nur erlebt, dass er so ist…“ Mitleid ist der falschen Ansatz – Hunde, wie Mailo brauchen Sicherheit und eine souveräne Führung und so endeten viele Vermittlungsgespräche schon nach wenigen Sätzen. Auch Mailo hat inzwischen sein passendes Zuhause gefunden.

Wir könnten diese Liste endlos fortsetzen, aber vielleicht wird auch schon anhand dieser Beispiele deutlich, dass die Anforderungen an Hundehalter größer werden, weil zu viele Hunde zu uns kommen, wo schon Weichen falsch gestellt wurden. Das ist korrigierbar, aber der Weg ist immer weiter und erfordert mehr Hundeerfahrung als wenn direkt der richtige Weg eingeschlagen wird.

 

Nun zurück zu der von mir angesprochenen Problematik: zu viele Menschen können sich zu leicht „Hunde beschaffen“ ohne Unterstützung bei dieser gewichtigen Entscheidung zu haben oder auch zu wollen und eben häufig auch, ohne viel für diese Traumwelt tun zu wollen.

 

So wird die Zahl der „Problemhunde“, die in Tierheimen ein neues Zuhause suchen immer größer. Auch die Anforderungen an künftige Hundehalter werden größer, aber vielfach steht nur die Masse der unerfahrenen Menschen mit dem Wunsch nach einem treuen Begleiter in der Warteschlange.

 

Diese Rechnung kann nicht aufgehen und das zeigt sich bereits jetzt … nicht nur bei uns.

 

Es muss ein Umdenken stattfinden! Wie das Aussehen soll? Ich weiß es nicht. In einer optimalen Welt würde niemand Hunde aus Vermehrstationen kaufen, würden Hunde nicht über Social Media wie im Versandkatalog bestellt, würden Menschen sich Gedanken machen, was es bedeutet einen Hund zu haben … aber offensichtlich haben wir diese optimale Welt nicht.

 

Vielleicht wäre es schon heilsam, wenn jeder, der einen Hund verkauft, verpflichtet wäre, diesen zurück zu nehmen, wenn sich zeigt, dass Bedürfnisse und Fähigkeiten von Mensch und Hund nicht zusammen passen.

 

Wie sich so etwas umsetzen ließe … keine Ahnung, aber wenn man auf dieser Vorstellung ein wenig rumdenkt, könnte sie viele Probleme im Keim ersticken … Probleme, die es gar nicht geben dürfte.

 

 

 

Eure Paula